Oh, was ist denn das?

Grübeleien, bunte Bilder, Musik, Meinungsmache und, achja, Grübeleien.

Dienstag, 3. Juli 2012

Abenteuer Dojczland

Es wurde ja Zeit, mal wieder ein bisschen Feuer im Grübelkabinett zu legen. Zu diesem Zweck habe ich "Sitzen vier Polen im Auto" von Alexandra Tobor, die auch ganz fleißig als @silenttiffy twittert, gelesen und mir überlegt, wie ich das Büchlein finde (sowas nennt man auch Rezension, übrigens!). Nun ja, freut euch, wieder von mir zu hören und lest selbst.

„DDR ist wie das Fegefeuer. Wenn jemand aus BRD für dich betet, kannst du über die zweite Grenze gehen. Da zeigst du deine Papiere und schon bist du dort.“
„Kommt man nur rein, wenn man getauft ist?“
Mitte der Achtziger Jahre gelangt die kleine Alexandra, genannt Ola, anhand von Insider-Informationen von Freundinnen, BRD-Reliquien in Form von leeren Haribotüten, Mythen über prosperierende „Rausgefahrene“ und des Quelle-Katalogs aus Oma Gretas Geheimversteck zu der Überzeugung, dass ein besseres Leben jenseits ihrer Heimat Polen möglich sein muss. Schnell wird es ihr größter Wunsch, in das Wunderland namens BRD auszuwandern. Ihr erster Versuch auf eigene Faust wird von der resoluten Oma Greta vereitelt, aber im Herbst 1989 wird Olas tatsächlich Traum wahr: zusammen mit Vater, Mutter und ihrem kleinen Bruder quetscht sie sich in den familieneigenen Fiat Polski, um Polen und Oma Greta hinter sich zu lassen und in Westdeutschland neue Wurzeln zu schlagen. Was die Familie dort erwartet, ist nicht mehr als Notunterkünfte in Turnhallen oder „Aussiedlerbaracken“, komplizierter Papierkram und eine scheußlich komplizierte neue Sprache, aber auch nicht weniger als nahezu rund um die Uhr verfügbare Haribos und so viele unterschiedliche Einkaufsmöglichen, dass es Olas Mutter beim ersten Betreten des Ladens mit dem großen A schwindelig wird - „Lux!“, wie die kettenrauchende BRD-Expertin Dorota Ogorkówa aus dem Nachbarzimmer der Notunterkunft sagen würde.
Es gibt ihn wirklich, den Fiat Polski! (Wiki Commons)
So zeigt uns Alexandra Tobor in ihrem Romandebüt „Sitzen vier Polen im Auto“ den holperigen Weg einer polnischen Familie, die versucht, in Deutschland Fuß zu fassen. Wie viel davon nun autobiographisch ist oder anderweitiger Empirie entspringt, ist dabei eigentlich völlig zweitrangig. Die anschaulich erzählten Anekdoten aus dem Migrantenalltag sind so lange witzig, bis einer auffällt, wie ernst die Situation eigentlich ist, aber dann ist man/frau so beeindruckt von dem Optimismus und dem Improvisationstalent, mit dem die Protagonistinnen und Protagonisten eigentlich alles irgendwie hinkriegen, dass das Amusement schnell wieder überhand nimmt und frau/man das Buch eigentlich auch gerne in einem Rutsch durchlesen möchte. Daneben bietet der Roman eine genauso kritische wie kindlich-naive Außensicht auf das Deutschland der späten Achtziger und frühen Neunziger, die sowohl für Konsumkritiker_innen als auch für Shoppingvictims und sicherlich eine Menge anderer Menschen interessant sein dürfte. Ich habe dieses Buch gerne gelesen.